PRESSESTATEMENT von Bord der Ocean Viking
Mit 572 Geretteten an Bord wartet die Ocean Viking seit Montagfrüh auf einen sicheren Ort für die entkräfteten und vielfach verzweifelten Menschen. Luisa Albera, Such- und Rettungskoordinatorin auf dem Rettungsschiff von SOS MEDITERRANEE, der Ocean Viking ist entsetzt, dass die 572 geretteten Menschen so lange an Bord auf einen Hafen warten müssen:
„Die Situation an Bord der Ocean Viking ist unvorstellbar und verschlechtert sich von Stunde zu Stunde. Die Anspannung und Erschöpfung an Bord der Ocean Viking sind auf dem Höhepunkt. Es gibt jetzt keine Zeit für Diskussionen hinter verschlossenen Türen. Es muss sofort eine Lösung gefunden und ein sicherer Ort für die 572 Überlebenden an Bord zugewiesen werden“, betont Albera. „Obwohl die Ocean Viking fünf Mal bei den zuständigen Seebehörden um einen sicheren Hafen gebeten hat, erhalten wir keinerlei Informationen. Die Geretteten auf dem Deck sind schutzlos der Sonne und dem Wellengang ausgesetzt. Die Situation ist menschenunwürdig!“, sagt Albera.
Die psychische Belastung der Menschen stellt eine Notlage dar
„Gestern Abend sprang ein Mann in akuter psychischer Not über Bord. Er begründete seine verzweifelte Handlung damit, dass er „die Ungewissheit nicht mehr habe ertragen können“. Die medizinischen und pflegerischen Teams beobachten eine Zunahme der psychischen Belastung und Erschöpfung bei den Frauen, Kindern und Männern an Bord“, erklärt Luisa Albera. „Einer der beiden Minderjährigen mit Behinderungen zeigt Anzeichen zunehmender körperlicher Versteifung und musste nachts in die Bordklinik gebracht werden. Für auf See gerettete Menschen ist ein Schiff per Definition nur ein temporäres Transportmittel zu einem sicheren Ort. Menschen über einen längeren Zeitraum auf einem Schiff festzuhalten, nachdem sie gerade eine Nahtoderfahrung auf See hinter sich haben, belastet sie zusätzlich unnötig.“
Die abgepackten Essensrationen gehen aus, das Wetter verschlechtert sich
„Morgen gehen uns die abgepackten Tagesrationen aus und wir werden anschließend nicht in der Lage sein, alle Geretteten angemessen zur ernähren“, erklärt die Rettungskoordinatorin Albera. „Mit 572 geretteten Menschen, die das gesamte Achterdeck der Ocean Viking ausfüllen, wird die Versorgung äußerst schwierig. Die Zubereitung von gekochten Mahlzeiten würde zu lange dauern, um den Bedarf aller zu decken, und die Verteilung wäre zu kompliziert, da sich die Menschen kaum auf dem Schiff bewegen können. Zudem verschlechtert sich morgen auch noch das Wetter. Wenn bis heute Abend keine Lösung gefunden wird, werden wir mit der Ocean Viking morgen östlich von Sizilien Schutz suchen müssen.“
Die Menschen brauchen sofort einen Hafen an einem sicheren Ort
„Es ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, Menschen, die auf See gerettet werden, schnell einen sicheren Ort zu bieten, sondern auch eine gesetzliche Pflicht. Wir rufen die europäischen Mitgliedsstaaten auf, Solidarität zu zeigen und die Küstenstaaten zu unterstützen. Die Seebehörden können uns alle nicht länger in dieser unzumutbaren Lage lassen. Es muss sofort eine Lösung gefunden werden“, betont Luisa Albera.
Chronologie der Ereignisse:
01. Juli: Die Crew der Ocean Viking sichtet im maltesischen Rettungsgebiet zwei Holzboote in Seenot. 44 Menschen können gerettet werden, darunter fünf Frauen, eine davon schwanger sowie 15 Minderjährige. Die libysche Küstenwache ist während der ersten Rettung in Sichtweite. Die zivilen Aufklärungsflugzeuge Seabird und Colibri 2 haben die Crew der Ocean Viking zuvor über die zwei Seenotfälle informiert.
02. Juli: Die Crew der Ocean Viking stellt bei den zuständigen Seebehörden auf Malta eine Anfrage nach einem sicheren Hafen für die Geretteten, welche abgelehnt wird. Am selben Tag bezeugt die Crew, wie zwei Boote durch die libysche Küstenwache abgefangen und zurück nach Libyen gebracht werden.
03. Juli: Die Crew sichtet zwei weitere Boote. Diese sind jedoch leer, die Insassen wurden offenbar durch die libysche Küstenwache abgefangen. Ein drittes Boot, über das Alarm Phone informiert hatte, wird am selben Tag noch gefunden. Die 21 Überlebenden werden durch das Rettungsteam an Bord geholt.
04. Juli: Ein vierter Einsatz erfolgt im Morgengrauen in der maltesischen Rettungszone. 67 Menschen werden von einem überbesetzten Boot gerettet, dass zu kentern droht. Am Nachmittag wiederholt sich das Szenario: Weitere 71 Menschen können von einem Boot in Seenot sicher auf die Ocean Viking gebracht werden. Vier entkräftete Menschen müssen mit einer Trage gerettet werden.
04./05. Juli: In der Nacht vom 04. auf den 05. Juli entdeckt die Crew der Ocean Viking in der libyschen Such- und Rettungszone ein riesiges, stark überbesetztes Holzboot, dass zu kentern droht. In einem fünfstündigen Rettungseinsatz bringt das SOS-Team 369 Menschen sicher auf das Schiff. Insgesamt 572 Gerettete befinden sich seither an Bord der Ocean Viking und benötigen immer dringender einen sicheren Hafen, wie es das Seerecht vorschreibt. |