„Sicherer Hafen München“: Es bleibt erstmal bei Worten statt Taten

Entscheidungen über konkrete Aktivitäten der Stadt München als „Sicherer Hafen“ im Stadtrat vertagt

Am 9. Juli stand im Sozialausschuss des Münchner Stadtrats eine Beschlussvorlage auf der Tagesordnung, die die Anträge zum „Sicheren Hafen München“ sowie zu den Themen Seenotrettung und zur Situation in den Lagern in Griechenland zusammenfassten sollte.

Mit Erstaunen und Enttäuschung haben wir nun gehört, dass der Beschluss darüber in die nächste Sitzung des Sozialausschusses vertagt wurde. Das heißt, dass weitere Wochen vergehen werden, bis über konkrete Umsetzungen des Konzeptes „Sicherer Hafen“ in München beraten und entschieden wird. Weitere Wochen vergehen, während in den Lagern auf den griechischen Inseln weiter zigtausende Menschen unter menschenunwürdigsten Bedingungen überleben müssen. Weitere Wochen vergehen, in denen auf dem Mittelmeer vor Folter, Krieg und Armut fliehende Menschen entweder von libyschen Milizen in Folterlager zurückgezwungen werden, im Meer ertrinken oder – sollten sie gerettet werden – im besten Fall tagelang auf einem Rettungsschiff blockiert werden.

Erst am 6.7.20 veranstaltete die Seebrücke vor dem Rathaus eine Kundgebung mit zahlreichen informativen und auch erschreckenden Berichten über die Lage in Europa, verbunden mit der Forderung an die Stadt München, ihren Versprechen als „Sicherer Hafen“ gerecht zu werden. Nur drei Tage später wurden die zaghaften Ansätze (siehe unser Statement zu der Beschlussvorlage) erneut vertagt.

Wir fordern den Münchner Stadtrat und die Verwaltung daher erneut auf, konkrete Hilfe für Geflüchtete als „Sicherer Hafen München“ nicht weiter in die Länge zu ziehen und stattdessen zügig und transparent dem eigenen Versprechen gerecht zu werden. Zu Gesprächen dazu stehen die Seebrücke München und weitere zivilgesellschaftliche Initiativen weiterhin bereit.

 

Im weiteren die Dokumente zu der Stadtratssitzung sowie eine Stellungnahme der Seebrücke, die einzelnen Stadträt*innen vor der Sitzung zur Verfügung gestellt wurde:

Dokumente aus dem Stadtrat:

https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/ris_vorlagen_dokumente.jsp?risid=6090448

zu 1.1.

Wir begrüßen, dass Herr Reiter sich am 24.04.2020 schriftlich an Markus Söder für ein humanitäres Aufnahmeprogramm für aus Seenot gerettete Geflüchtete eingesetzt und sich mit einem Schreiben am 18.06.2020 mit der Forderung einer Aufnahme von Geflüchteten aus Moria an Horst Seehofer und Joachim Herrmann gewandt hat.

Gleichzeitig denken wir, dass angesichts der immerwährenden Dringlichkeit der Situation im Mittelmeer und in den Lagern in Griechenland es weit mehr Engagement benötigt und vor allem konkret die Realisierung der Aufnahme Geflüchteter in München beinhalten muss.

Wir würden gerne wissen:

Was ist seit dem 24.04.2020 und dem 18.06.2020 passiert? Was haben Herr Ministerpräsident Söder, Herr Bundesminister Horst Seehofer und Herr Staatsminister Herrmann auf die Schreiben des Oberbürgermeisters Reiters geantwortet? Und welche Schritte unternimmt Herr Oberbürgermeister Dieter Reiter und die Stadt München als nächstes, um sich weiter für ein humanitäres Aufnahmerogramm für aus Seennot gerettete Geflüchtete und für die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria in München einzusetzen?

Wir begrüßen den Antrag der Stadtratsfraktion DIE LINKE/Die PARTEI vom 22.06.2020, konkret und reagierend auf eine akute Rettung, die am 17.06.2020 statt fand, mindestens 15 Menschen der geretteten Geflüchteten der Sea Watch 3 in München auf zu nehmen.

Wir würden gerne wissen, inwieweit dieser Antrag durch ein zeitlich zuvor versendetes Schreiben des Oberbürgermeisters Dieter Reiter als bearbeitet gelten kann? Wir fordern, dass sich Oberbürgermeister Dieter Reiter und der Stadtrat – wenn München zum Sicheren Hafen werden soll – für die Aufnahme von aus Seenotrettung Geflüchteter in München stark macht und das heißt, dass versucht werden sollte, beispielsweise eine solche Aufnahme von mindestens 15 (!) Menschen zu realisieren und dies nicht durch den Verweis auf bereits abgeschickte Briefe als erledigt zu erklären. Wir fordern, dass sich Oberbürgermeister Dieter Reiter mit dieser konkreten Forderung, mindestens 15 Geflüchtete der Sea Watch 3 in München auf zunehmen, erneut mit einem Schreiben an das Bundesinnenministerium wendet. Gleichzeitig möchten wir darauf hinweisen, dass die geforderte Mindestanzahl geretter Geflüchteter – 15 Menschen – im Hinblick auf das Sterben im Mittelmeer und die Situation an den europäischen Außengrenzen eine sehr kleine Forderung ist. Wir denken, dass München dazu imstande ist, weitaus mehr Menschen von der Sea Watch 3, aus anderen Rettungseinsätzen und aus den griechischen Lagern auf zu nehmen. Anfang dieses Jahres haben die in der Betreuung minderjähriger Flüchtlinge tätigen Wohlfahrtsverbände bereits zugesagt, 100 minderjährige Geflüchtete unterbringen zu können https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-fluechtlinge-griechenland-seehofer-1.4769225)

Die Stadt München hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie sehr wohl in der Lage ist, pragmatisch und unbürokratisch eigene Hilfe auch neben den Strukturen von Bund und Land auf die Beine zu stellen – genau dieses Engagement erwarten wir von einer Stadt, die sich „Sicherer Hafen“ nennt. Wir möchten daher darauf hinweisen, dass Kommunen sehr wohl einen Spielraum haben, um Menschen in ihrer Kommune – auch unabhängig von der Bundesebene –  auf zu nehmen. Der derzeitige Rechtsrahmen erlaubt eine Umsiedlung über den Artikel 17 Absatz 2 der Dublin-III-Verordnung, indem ein europäischer Mitgliedstaat das Asylverfahren aus einem anderen Mitgliedstaat (z.B. Griechenland) übernimmt. Weil die Aufnahme von Schutzsuchenden, die sich schon in der EU befinden, nach unterschiedlichen Rechtsgrundlagen durchgeführt werden kann, wäre es eine Option, dass ein befristeter Aufenthaltstitel nach § 23 Abs. 1 AufenthG für einen angemessenen Zeitraum erteilt wird.

zu 1.2.
Punkt 3:

Dass sich Oberbürgermeister Dieter Reiter bereits am 30.09.2019 an Bundesinnenminister Maas gewandt hat, um sich für eine Intensivierung der europäischen Seenotrettungsmission sowie die Entkriminalisierung der zivilen Seenotrettung ein zu setzen begüßen wir. Wobei es falsch ist, von der „Intensivierung“ einer europäischen Seenotrettungsmission zu sprechen, denn es existiert derzeit keine europäische Seenotrettungsmission. Die Situation auf dem Mittelmeer ist im Gegenteil davon gepägt, dass europäische Miltiärschiffe im Rahmen der derzeitigen Missionen alles tun, damit sie nicht „versehentlich“ in die Situation kommen, bei Seenotfällen helfen zu „müssen“. Und weiter fragen wir auch hier: Was ist seitdem passiert? Was hat die Stadt München in den letzten 9 Monaten weiter unternommen, um diese Ziele zu erreichen? Denn die Situation hat sich in den letzten Monaten nochmal deutlich verschärft durch weitere Kriminalisierungsversuche (z.B. der Schiffe Alan Kurdi und Mare Jonio in Italien oder der Behinderung von drei deutschen NGOs Mare Liberum, Mission Lifeline und ResQShip durch eine neue Verordnung des CSU-geführten Bundesverkehrsministeriums)

zu 1.3.
Punkt 4:

Wir begrüßen Hilfstransporte – wenn sie denn statt finden – der Stadt München nach Griechenland. Jedoch denken wir, dass die Aufnahme Geflüchteter aus Griechenland dabei nie aus dem Blick gelassen werden darf (vor allem Menschen von den Inseln: Stadt verweist darauf, dass die Situation auf den Inseln schlecht ist, sollte dann auch eine Evakuierung dieser fordern): es ist nicht damit getan, Personal und Hilfsgüter nach Griechenland zu schicken – zumal dann nicht, wenn dies nur bei einer Versprechung bleibt. Die Aufnahme von Geflüchteten in München und eine Unterstützung lokaler Strukturen vor Ort schließen sich nicht gegenseitig aus – dabei darf die Aufnahme Geflüchteter jedoch nicht durch Hilfstransporte ersetzt werden. Damit eine Aufnahme Geflüchteter aus Griechenland in München realisiert werden kann, muss sich unseres Erachtens die Stadt München für die Abschaffung der Dublin-Verordnung einsetzen, anstatt lediglich darauf hinzuweisen, dass es für die  „deutsche Gebietskörperschaft keine Möglichkeit gibt, in die Souveränität der Organisation des griechischen Staates einzugreifen und selbst Hilfe zu organisieren.“ Wir denke, dass die Stadt München sich sehr wohl auf kommunaler und europäischer Ebene dafür einsetzen kann, dass Geflüchteten eine Weiterreise in andere EU-Länder nicht weiter verwehrt bleibt – denn dies ist keine griechische, sondern eine europäische Erfindung.

zu Punkt 5, 6, 7:

Die in diesen Punkten genannten Aktivitäten können allenfalls ein Anfang sein. Die Situation an den europäischen Außengrenzen ist ein sich verschärfender humanitärer Notstand, da reicht es nicht aus auf einzelne geplante oder stattgefundene Benefizveranstaltungen hinzuweisen, um dem Gehalt der Selbstbezeichnung „Sicherer Hafen“ gerecht zu werden.

zu Punkt 8:

Seit dem 18.12.2019 hat die Stadt München die Patenschaft für das Rettungsschiff Ocean Viking übernommen. Letzte Woche gab es an Bord der Ocean Viking mehrere Suizidversuche und die Besatzung hat den Notstand ausgerufen und um Unterstützung gebeten. Erst in der Nacht auf 8. Juli konnten die 180 nach zum Teil fast 2 Wochen Blockade auf Sizilien von Bord gehen, um von dort auf ein Quarantäneschiff gebracht zu werden. Wir interessieren uns dafür, was die Stadt München für sein Patenschiff unternommen hat? Uns ist jedenfalls keine Aktivität bekannt. Wir würden gerne wissen, was die Stadt München in dieser akuten Notsituation tat, um die Überlebenden und die Besatzung der Ocean Viking zu unterstützen?

zu Punkt 9:

Leider lag die Anlage 7 anfangs nicht bei, daher können wir keine Stellung beziehen.

zu Punkt 10:

Wir begrüßen die Initiative der Stadt, auf ihrer Internetpräsenz auf die Initiative Städte Sicherer Häfen hinzuweisen. Der beschlossene Antrag des Stadtrats beinhaltet jedoch deutlich mehr als die Verlinkung zur „Seebrücke“, „SOS Mediteranee“ und „Städte Sicherer Hafen“. Wir erwarten uns davon vielmehr darüber hinaus die gewünschte Transparenz bzgl. des städtischen Handelns und der dadurch erreichten Entwicklungen.

Darüber hinaus wünschen wir uns einen regelmäßigen direkten Austausch über die städtischen Aktivitäten, sowohl durch regelmäßige Informationsweitergabe als auch durch regelmäßige Treffen.